Mit Multimedia ins Kinderherz

Von Dominik Landwehr


(Aus dem "Brueckenbauer" Nr.25 vom 19.Juni 1996)

Multimedia und Interaktivität sind die neuen Zauberwörter. Sie öffnen den Marketing Strategen neue Wege in die Kinderwelt. Multimedia-Software kostet enorm viel in der Entwicklung und sehr wenig in der Distribution. Darum haben Weltkonzerne wie Disney oder Microsoft einen Startvorteil, den sie zu nutzen beginnen.

Die Manager am Davoser Weltwirtschaftsgipfel staunten nicht schlecht: Gleich neben dem Kongresszentrum gab die Kalifornische Computerfirma SiliconGraphics eine Kostprobe ihres Könnens. Keine Kuchengrafiken oder andere Businessprogramme waren zu sehen, nein - die Computerleute luden ganz einfach zu einem Rundgang durch den Petersdom ein. Per Maus konnte sich der Beobachter in der gewaltigen Kathedrale bewegen, anhalten, weitergehen und wenn er wollte, schräg durch den Raum fliegen. Das Resultat: Atemloses Staunen ob der gewaltigen Perspektive. Insider wussten: Dieselben Maschinen hatten in Steven Spielbergs Kassenschlager "Jurassic Parc" die Dinosaurier erzeugt.

Hätten die Manager allerdings zuhause ihren Kindern beim Spielen am Computer zugeschaut - ihr Staunen wäre wohl etwas kleiner ausgefallen. Denn was den Kindern am PC zuhause die Zeit vertreibt, ist High-Tech, das sich mit den Supergrafiken messen kann. In "Myst" beispielsweise wird auf einer Insel eine betörend schöne Kunstwelt geschaffen, durch die sich der Benutzer per Mausklick bewegen kann. Schon Kleinkinder bringen heute ihre Lieblingsfiguren auf dem Bildschirm mit der Maus zum reden. Der Tag ist nicht weit, an dem der Benutzer auch die Absichten dieser Figuren bestimmen wird können.

Computer, Fernseher und Telefon verschmelzen

Längst haben sich am PC bewegte Bilder, Töne und Texte vereinigt. Gewiss, das gabs schon früher: Schon die ersten Büro- und Heimcomputer waren mit einem Lautsprecherchen ausgerüstet und vermochten einfache Grafiken zu zeigen. Nur hat die alte Technologie mit heute etwa soviel gemeinsam wie eine Türklingel mit einem Sinfonieorchester. Beide machen Geräusche - doch welch unterschiedliche! Ein moderner Computer vermag heute bewegte Bilder in Fernsehqualität zu zeigen, Geräusche, Musik und Sprache haben dabei jene Qualität, die wir von der CD gewohnt sind. Dabei verwischen sich die Grenzen zwischen Computer und Fernsehgerät immer mehr.

Seit Jahren streiten sich die Telekommunikations-Epxerten darüber, welchem Gerät die Zukunft gehört: dem PC oder einem (erweiterten) Fernseher. Die Antwort: Die Geräte werden miteinander verschmelzen und bei dieser Verschmelzung das Telefon gleich noch mitnehmen. In Zukunft kommt das Telefon als Übertragungskanal dazu. Das Zauberwort dazu heisst "Internet".

Wie das aussehen könnte demonstrierte das deutsche Satellitenprogramm "Kanal 1" mit seinem Kinderprogramm "Hugo": Per Konsole kann der Zuschauer eingreifen und mit seinem Sender zu kommunizieren beginnen.

Über eine Million Heimcomputer in der Schweiz

Computer werden bald zur Standardausrüstung eines Haushaltes gehören, ähnlich wie Radio, Fernsehgerät und Telefon. Die Zahlen, die der Schweizer Computer-Spezialist Robert Weiss Jahr für Jahr ermittelt sprechen eine deutliche Sprache: Über eine Million PC stehen heute in den Schweizer Privathaushalten. 200 000 davon wurden allein im letzten Jahr gekauft, nicht weniger dürften es im laufenden Jahr sein. Deutsche Experten haben berechnet, dass in jedem zweiten Haushalt mit Kindern ein Computer steht. Knapp die Hälfte der Heimcomputer sind heute mit CD ROM und Soundkarte ausgerüstet und können damit als Multimedia-Maschinen angesprochen werden. Der Durchschnitts-Computer-Haushalt, so Robert Weiss, erwirbt zwischen fünf und 20 neuen CD pro Jahr, wobei nur ein Teil davon gekauft werden muss. Über die Hälfte der Programme, die weltweit produziert werden, richten sich an Kinder und Jugendliche. Genauer: 35 Prozent sind reine Spiele, weitere 28 Prozent gehören zum weiten Bereich der Erziehung und Unterhaltung, des sogenannten Edutainments. Das sind ähnliche Verhältnisse wie im Video-Geschäft, wo Kinderfilme über drei Viertel des gesamten Umsatzes ausmachen.

12 Millionen für ein Spiel!

Die Herstellung einer CD ROM kostet pro Stück etwa einen Franken fünzig. Darin ist allerdings die Entwicklung der Software nicht mitgerechnet: Gerade dieser Posten schlägt aber happig zu Buche: Über zwölf Millionen Dollar soll beispielsweise die Entwicklung des Spieles "Wing Commander IV" gekostet haben. Das Spiel vermittelt interative Unterhaltung in Kinoqualität, auch wenn es letztlich nur ein einfaches Ballerspiel ist. Besonders teuer sind in der Regel die Filmsequenzen. Der Grund ist einfach: Der Spieler hat die Wahl und kann zwischen verschiedenen Szenarien wählen. Nicht selten müssen darum Dutzende verschiedener Varianten gedreht werden.

Hohe Entwicklungs - niedere Distributionskosten: Diese Voraussetzungen rufen geradezu nach Firmen, die solche Produkte global vermarkten können. Disney und Microsoft sind zwei Beispiele für erfolgreich operierende Multimedia-Firmen.

Globale Vermarktungsstrategie

Nehmen wird zuerst die Disney Company: Der amerikanische Unterhaltungskoloss ist überall auf der Welt zuhause: In den USA oder in Westeuropa ebenso wie in Russland oder in der Dritten Welt. Seine Strategie ist ebenso genial wie einfach: Ständig werden neue Figuren geschaffen und über alle denkbaren Kanäle global vermarktet. Dabei schafft es der Konzern eine totale Kontrolle durchzusetzen: Wehe dem, der ohne Lizenz eine Mickey-Mouse Figur benutzt. Die Disney Company nimmt die Vermarkung ihrer Produkte generalstabsmässig an die Hand. Zum Beispiel beim Kassenschlager "Lion King" - "Der König der Löwen": Im Zentrum steht der Film. Die Löwenkinder Simba und Nala, das Warzenschwein Pumba und .....Timon begrüssen die Kinder heute auf hunderten von anderen Produkten: wie Büchern, Malheften, Acessoires, Frottiertücher, Kinderessgeschirr. Und seit neustem hat Disney auch die CD ROMS entdeckt und seitdem dürfen die Löwenkinder auch im Computer ihr Unwesen treiben. Ebenso verfuhr man bei Disney mit "Aladdin" verfahren und natürlich ist sind auch Andy und Buzz Lightyear aus Disney neustem Trickfilm "Toy Story" auf einer CD ROM zu finden.

Die Figuren und Filme brauchen nur einmal geschaffen zu werden, das Grundmaterial lässt sich darauf in Dutzenden von Versionen bearbeiten. Die Produktion von verschiedensten Sprachversionen ist danach eine vergleichsweise günstige Angelegenheit. Neuester Streich auf diesem Markt: Ein Computer-Magazin für Kinder. Es heisst "Fun-Online" und beschäftigt sich ausschliesslich mit Spielen und Unterhaltung am Computer. Jedem Heft ist eine CD ROM beigelegt und schon bald will das Heft eine eigene, kostenpflichtige Online-Dienst eröffnen. Verantwortlich für dieses Heft zeichnet die Ehapa Verlagsgruppe - just jene Gruppe, welche im deutschsprachigen Raum Lizenz für Mickeymouse und Donald Duck Hefte hält.

Kein Wunder, wird Disney weltweit als eine der erfolgreichsten Firmen angeschaut. Ihre Marketing-Strategien gelten als einzigartig und werden Business-Universitäten analysisert und diskutiert. Ähnliches lässt sich von der Firma Microsoft sagen, die mit Systemsoftware für PC grossgeworden ist. Neben Computerprogrammen wie "Windows 95" oder "Word" und "Excel" verkauft die Firma heute Software für Kinder. Dazu gehört etwa das (Kinder) Lexikon "Encarta", die Tier-Enzyklopädie "Faszinierende Kreaturen", ein Nachschlagewerk über Dinosaurier oder Zeichen- und Malprogramm für Kinder.

Werbung nutzt Multimedia- Software

Das teuerste an der Multimedia-Software sind Filme und Bilder: Kein Wunder, ist Microsoft Chef Bill Gates seit kurzem daran, Bildrechte der grössten Fotoarchive der Welt zu kaufen.

Wo sich für die Zukunft so viele Chancen abzeichnen, will auch eine weitere Branche nicht abseits stehen: Die Werbung. Auch in der Werbung hat man entdeckt, dass sich mit Multimedia eine entscheidende Zielgruppe gut ansprechen lässt: Die Kinder. Der Geschäftsführer der deutschen Firma "Hasbro Interactive": "Kinder und Jugendliche leben von Wünschen, Träumen, Sehnsüchten. Sie wollen Produkte, die alle Sinne ansprechen." Ein Beispiel ist das Computerspiel "Quikie", das Nestlé in der Werbung für Nesquick" einsetzt. Beim Spiel muss der Benutzer Leuchtreklamen für "Nesquick" zählen. Das Spiel ist frei kopierbar und verbreitet sich damit im Schneeballsystem. Der Trick dabei: In regelmässigen Abständen wird via Werbung ein neuer Code bekanntgegeben. Damit kann der Benutzer eine neue Spielvariante aktivieren. Der Trick verlängert den Lebenszyklus des Spiels und damit auch die Wirkdauer der Werbung. Michael Haug vonder Entwicklerfirma "Very Interactive Sales Tools: "Wir haben eine hohe Kontaktintensivität bei niedrigen Kontaktkosten". Etwas Ähnliches muss man sich beim Autorhersteller General Motors gesagt haben: Wer sich für den Opel Tigra interessiert kriegt dort neben dem Prospekt gleich eine CD ROM gratis ins Haus geliefert. Kinder, so wissen die Autohersteller, haben beim Autokauf heute ein wichtiges Wörtchen mitzureden. Da macht es doch Sinn, wenn man sie gleich mit dem Medium anspricht, das am besten dafür geeignet ist.

Auf die Kinder kommt eine wahre Flutwelle von Multiemdia-SOftware . Ob die Erwachsenen sich dafür interessieren oder nicht, ist zweitrangig, ob sie daran teilhaben wollen oder nicht ebenso. Die Marketing-Strategen haben einen neuen Weg in die Kinderseele entdeckt. Und den werden sie nicht so schnell wieder preisgeben.

Dominik Landwehr


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