Grosse Hilfsbereitschaft

Ein Artikel im «Brückenbauer» führte zu den Begegnungen mit den Holocaust-Opfern.

Unter dem Titel «Die letzten 100 Meter» berichtete der «Brückenbauer» diesen Sommer über die Situation von Holocaust-Überlebenden in Rumänien und über die Lage der jüdischen Gemeinden in diesem Land. Der Artikel zeichnete ein bedrückendes Bild: die Holocaust-Überlebenden - fast ausnahmslos ältere Menschen, über 70 - leben zu einem grossen Teil in bitterer Armut.

Viele Synagogen sind vom Zerfall bedroht. Zur materiellen Not kommt das Gefühl, von der Welt vergessen worden zu sein und zu einer Kultur zu gehören, die in den nächsten Jahren in vielen kleineren Städten und Dörfern des Landes ganz von der Bildfläche verschwinden wird.

Wichtiges Zentrum

Mit rund 800000 Juden war Rumänien vor dem Krieg ein wichtiges Zentrum für die jüdische Kultur in Osteuropa. Die Hälfte dieser Menschen wurde in der Shoa ermordet, von der anderen Hälfte sind fast alle ausgewandert. Heute leben nur noch 14000 Juden in Rumänien. «Wir brauchen Hilfe für die letzten 100 Meter», sagte ein Holocaust-Überlebender aus der siebenbürgischen Kleinstadt Tirgu Mures.

Der «Brückenbauer»-Artikel hat ein grosses Echo ausgelöst: Zahlreiche Leserinnen und Leser haben uns telefoniert oder geschrieben und Hilfe angeboten.

Auch die private Holocaust-Stiftung «Fonds für Menschlichkeit und Gerechtigkeit» hat schnell reagiert und innerhalb von wenigen Wochen 25000 Franken bereitgestellt, um das Dach der Synagoge von Tirgu Mures zu sanieren. «Damit retten wir den einzigen Begegnungsort der Juden in Tirgu Mures und leisten einen Beitrag zur Wiederbelebung der jüdischen Kultur in Osteuropa», sagt der Präsident der Stiftung, der Basler Ständerat Gian-Reto Plattner.

Das Geld wurde bereits nach Rumänien überwiesen, die Reparaturarbeiten konnten aufgenommen werden.

Einladung in die Schweiz

Bei den Gesprächen in Rumänien entstand auch die Idee, zwei Holocaust-Überlebende in die Schweiz einzuladen und mit ihnen eine Reihe von Veranstaltungen durchzuführen. Die Migros-Zeitfragen übernehmen zusammen mit der privaten Holocaust-Stiftung die Kosten: Heinz Altorfer, Leiter der Migros-Zeitfragen, erklärt, warum dies für ihn eine wichtige Veranstaltung ist: «Wir müssen verstehen, wofür heute Gerechtigkeit und Solidarität gefordert wird. Die Gespräche sollen bei diesem Prozess einen Beitrag leisten. Mehr noch: Sie sollen unsere ethische Wahrnehmungsfähigkeit als Bürgerinnen und Bürger auch für Gegenwart und Zukunft schärfen.»

In unserer Reportage war auch vom Schicksal der Roma-Bevölkerung die Rede. Auch sie gehörte zu den Opfern des Holocausts und wird noch heute von der Gesellschaft ausgegrenzt. Doch hat die Darstellung von deren Schicksal kaum Reaktionen ausgelöst.

Hilfe für die Holocaust-Überlebenden unter den Roma zu organisieren ist wesentlich schwieriger als Hilfe für die jüdische Bevölkerung zu finden. Dafür gibt es viele Gründe. Einer davon ist, dass das Wissen um deren Geschichte fehlt, sowohl bei den Historikern als auch bei den Roma selber.

Aber auch den Hilfswerken geht es nicht anders. Sie haben in diesen Tagen festgestellt, dass es möglicherweise zuerst Geld für Recherchen braucht, wem unter den Roma zuerst geholfen werden muss und wo sich diese Menschen befinden.

Die Hilfsbereitschaft stösst an Grenzen, weil sie sehr spät kommt. Trotzdem ist sie wichtig, denn sie setzt ein Zeichen: in der Geschichte der Schweiz und im kollektiven Gedächtnis der Opfer.

Dominik Landwehr

Die Stiftung «Fonds für Menschlichkeit und Gerechtigkeit» sammelt weiterhin Geld für die Opfer des Holocaust.

Spendenkonto: PC 40 - 300 000 - 6


Das Leben nach dem Überleben

«Es gibt Überlebende, für die der Holocaust nie zu Ende war». Mit diesem Slogan macht die Organisation «amcha» auf sich aufmerksam. Sie führt in Israel Beratungszentren für Überlebende der Shoa. Der Schweizer Freundeskreis von «amcha» führt am Sonntag, 16. November, von 17 bis 20.30 Uhr eine Informationsveranstaltung im Zürcher Kongresshaus durch. Es werden verschiedene Holocaust-Überlebende zu Wort kommen, darunter auch der holländische Psychoanalytiker Hans Keilson, der über das Schicksal der jüdischen Kriegswaisen reden wird.
D.L.


Lesen Sie auch: Begegnung mit Holocaust-Überlebenden aus Rumänien

Weitere Informationen


Die letzten 100 Meter - Holocaust-Opfer in Rumänien ("Brückenbauer" vom 29.Juni 1997)

Links zum Thema Rumänien

Links zum Thema "Schweiz + Holocaust"

Lesetips zum Thema Rumänien


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updated last on November 11, 1997