Digitale Bildbearbeitung


In der Schweiz entstehen immer mehr Film und TV-Produktionen am Computer-Bildschirm

Von Dominik Landwehr

Steven Spielberg lässt ganze Herden von elektronisch erzeugten Dinosauriern über die Leinwand rennen, Messer und Kugeln durchdringen den "Terminator" Arnold Schwarzenegger ohne ihm etwas anzuhaben und der Film "The Mask" schockiert mit frappanten, surrealistischen Verwandlungen. Das alles sind spektakuläre Beispiele, wie die Digitaltechnologie und der Computer in Hollywood immer wichtiger werden. Film und Fernsehen werden auch in der Schweiz immer stärker vom Computer bestimmt - das zeigt sich beispielsweise in der Bildbearbeitung, vor allem im Bildschnitt. Ueber 70 Computer-Schnittplätze sind in der Schweiz heute im Betrieb. Von Dominik Landwehr.

Um es gleich vorwegzunehmen: Der Zuschauer zuhause oder im Kino merkt kaum etwas von dieser neuen Technik. - Für die Produzenten ist es jedoch ein Quantensprung:"Die Einführung von Computer-Schnittplätzen ist die grösste technische Umwälzung, die wir in unserer Branche je erlebt haben", meinen etwa die beiden Werbefilm-Produzenten Stefan Fraefel und Levente Paal. Die gehören zu den grösseren ihrer Branche und zählen unter anderem Migros und PTT zu ihren Kunden. Ihr Auftragsvolumen von 40-60 Werbespots pro Jahr könnten sie ohne diese Technologie schlicht nicht mehr bewältigen. In ihrem zweigeschossigen, lichtdurchfluteten Atelier an der Forchstrasse - einst ein Andachtsraum der CVJM - zeigen sie ihren neuesten Werbefilm, der auf einem solchen System bearbeitet wurde: Darin mimt der 78-jährige Schauspieler Rudolf Ruf einen flippigen Grossvater, der eine Harley-Davidson Motorradwerkstätte führt und seine Korrespondenz auf einem Canon-Schreibautomaten abwickelt. Ein klassischer Werbespot, der mit schönen und liebevoll arrangierten Einstellungen arbeitet und dem Zuschauer mit seiner feinen Ironie ein Lächeln entlocken soll. Erst ein Click mit der Maus gibt das Geheimnis seiner Produktion frei: Der Produzent Stefan Fraefel sitzt vor zwei Bildschirmen. Auf dem Bildschirm links sieht er zwei oder drei Dutzend kleiner Bildchen, jedes sorgfältig angeschrieben und numeriert. Das ist sein Rohmaterial. Per Maus befördert er jene Sequenzen, die er bearbeiten will auf den rechten Bildschirm. Dort entsteht der eigentliche Film - Sequenz für Sequenz. Nur spielt es keine Rolle, ob er mit Anfang, Mitte oder Schluss beginnt. Wie auf einer Kette sind die Bildchen aufgereiht und hinter jedem Bildchen verbirgt sich eine Sequenz. Mit der Maus fährt er auf dieser Linie auf und ab, klickt dort, wo er etwas sehen will und bringt Veränderungen an. Kürzen oder Verlängern ist jederzeit möglich. Auch Effekte werden gleich hier ausgewählt und eingebaut - ob das nun eine Ueberblendung, eine Verfremdung oder eine der zahlreichen technischen Spielereien mit Bildern, die beispielsweise spiralförmig verschwinden, ist. Interessant ist es auch für die Tonbearbeitung: Auf dem gleichen Bildschirm sieht er auch seine Tonspuren, eine Kurve ähnlich einem EKG-Diagramm zeigt dabei die akustischen Akzente. Der Computer erlaubt das Arbeiten mit bis zu 2x24 Tonspuren und befriedigt damit fast alle Wünsche in der Tonbearbeitung.

Von allein kommt das Filmmaterial allerdings nicht in den Computer - es muss zuerst digitalisiert, also vom überspielt werden. Dabei wird die analoge Bildinformation (Farbe und Helligkeit) in digitale Informationen zerlegt. Die beiden Zürcher Filmproduzenten arbeiten sowohl mit 35mm Film als auch mit Videoproduktionen. In beiden Fällen muss das Rohmaterial zuerst ins System eingelesen, respektive auf die Harddisk des Computers übertragen werden. Im Fall einer Video resp.TV-Produktion kann der fertig bearbeitete und geschnittene Film von diesem System auf eine Videokassette überspielt werden. Man spricht vom sogenannten On-line Schnitt. Beim 35mm Film spuckt das System eine Liste aus, nach der das Originalmaterial dann geschnitten werden kann. Man spricht deshalb vom sogenannten Off-line Schnitt.

Vorteile liegen auf der Hand

Für Levente Paal und Stefan Fraefel liegen die Vorteile der neuen Technik auf der Hand: Geschwindigkeit und Preis fallen dabei am meisten ins Gewicht. Rund 250 000.- Franken kostet ein komplettes System - rund die Hälfte eines konventionellen, professionellen Video-Schnittplatzes. Geschwindigkeit ist ein weiteres Argument: Produzent und Kunde können sich nur wenige Tage nach den Dreharbeiten die ersten, geschnittenen Varianten ansehen. Und jetzt kommt der wohl entscheidenste Vorteil: In kürzester Zeit können Dutzende von Varianten hergestellt werden - ohne dass sich die Produktion wesentlich verteuern würde. "Früher war es jeweils sehr aufwendig und teuer, wenn wir verschiedene Varianten herstellen musste",meint Thomas Fraefel ,"heute können wir zusammen hinsitzen, Ideen ausprobieren und das Resultat sofort gemeinsam beurteilen". Das Resultat wird objektivierbar - das zeigt sich beispielsweise bei Diskussionen um einen so abstrakten Begriff wie "Rhythmus". Auf einem Computer-Schnittplatz ist jede Sequenz als unterschiedlich langer Balken auch grafisch dargestellt - damit sieht der Produzent auf einen Blick, wie lange sie ist. Und mehrere Sequenzen zusammen ergeben ein grafisches Muster.

Stefan Fraefel und Levente Paal gehörten vor 4 Jahren in der Schweiz zu den ersten, die ein solches System in Betrieb nahmen. Heute gibt es in der ganzen Schweiz mehr als 70 professionelle Computer-Schnittplätze. Ringier und Neue Zürcher Zeitung, Tele-Züri und Tele-Bärn produzieren ihre Fernsehproduktionen mit Computer-Schnittplätzen. Walter Studer, Chef der Ringier-Produktionsfirma Rincovision bestätigt die Aussagen der beiden Werbefilmer: "Die Bearbeitung ist einfacher, schneller, billiger".

US-Firma ist Branchenleader

Fast alle der rund 70 Profi-Systeme, die es in der Schweiz gibt, kommen vom gleichen Hersteller: es handelt sich um Produkte der US-Firma AVID, die von der Zürcher Firma Schiblivision vertrieben werden. Geschäftsführer Georg M.Boos: Die Schnittplätze sind Teil einer neuen, digitalen Philosophie. Es gibt sie in den verschiedensten Ausführungen. Diese Technologie ist nicht kompliziert und lässt sich auch in Kisten packen: der Zürcher Fernsehtechniker René Appenzeller hat ein solchen mobilen Schnittplatz und arbeitet vor Ort für seine Kunden. So war denn dieses mobile System auch schon in den USA oder in Südafrika. Andere Bausteine dieses Systems sind Kameras, die statt mit Kassetten mit einer Harddisk ausgerüstet sind, dazu gehört auch ein Netzwerk für News-Redaktionen, bei dem alle Redaktoren per Computer auf dasselbe Material zugreifen können, weiter ein digitales Abspielsystem für die Sendetechnik. "In Zukunft braucht es an keiner Stelle mehr magnetische Bänder", meint Boos prophetisch. Von all diesen zusätzlichen Bausteinen existiert in der Schweiz aber nur gerade einer: Tele-Bärn benutzt eine digitale Sendetechnik - gesendet wird ab Harddisk statt ab Band.

SONY setzt auf hybrid-Technik

Auch der japanische Elektronikriese SONY ist auf diesem Gebiet aktiv, setzt heute aber auf sogenannte hybride Systeme und plädiert für eine Mischung von beiden Produktionsarten. SONY kennt die digitale Aufzeichnung seit zehn Jahren, man verwendet aber als Speichermedium neben einer Harddisk auch professionelle Video- Kassetten mit magnetischem Band. Ausschlaggebend dafür sind unter anderem rechnerische Gründe. SONY-Mann Rainer Lüthy:"Eine Minute Bandmaterial kostet vielleicht l-2 Franken. Eine Minute Speicherplatz auf einer Harddisk 300-500 Franken". Folgerung: Man soll den Computer-Schnittplatz nur dort einsetzen, wo er wirklich benötigt wird - digitale Bandmaschinen besorgen in vielen Fällen die Aufgaben billiger - die Bildqualität soll dabei sogar eher besser sein. Der SONY-Mann Lüthy nennt einen einleuchtenden Grund dafür: Da die Speicherkapazität des herkömmlichen Magnetbandes enorm gross ist, braucht es keine, oder nur eine geringe Daten-Kompression. Eine grosse Kompression, wie sie bei der Speicherung auf eine Harddisk nötig ist, beeinträchtigt die Qualität der Daten und damit letztlich die Bildqualität. Dass auch das System mit Band als Speichermedium extrem leistungsfähig ist zeigt Lüthy mit einem Videoclip des Rockstars Peter Gabriel. Währenddem der Musiker im Vordergrund singt, sieht man ihn im Hintergrund dutzendfach dupliziert eine Leiter heraufsteigen. Bei der Produktion dieses Clips wurden vielleicht 50 oder oder mehr Kopiergenerationen erzeugt - absolut undenkbar mit konventioneller Technik - dank digitaler Aufzeichnung ist die erste Generation genauso brillant wie die letzte.

Schweizer TV zögert

Auch am Fernsehen DRS sind die Neuerungen der letzten Jahre nicht spurlos vorbeigezogen. Der erste Computer-Schnittplatz wurde hier vor drei Jahren angeschafft - Anlass dazu war die Produktion eines Krimis aus der Serie "Tatort" in Bern. Dabei ist es aber bis heute geblieben. Roger Sidler, Chef von Produktion & Technik bei SF DRS erklärt warum: "Verantwortlich dafür sind unsere Investitionszyklen - wir haben 26 qualitativ hochstehende Video-Schnittplätze und können diese nicht früher als geplant erneuern - das wäre ein verantwortungsloser Umgang mit den knappen Finanzen". 1996/97 müssen diese Schnittplätze ausgewechselt werden, dann wird auch die neue Technologie eine Rolle spielen, meint Sidler. Etwas schneller geht es in der Tagesschau-Redaktion: dort läuft zur Zeit die Evaluation für ein digitales Video-Netzwerk. Darauf sollen in Zukunft alle ankommenden Bilder (dazu gehört etwa das Rohmaterial des News-Ausstausches der Eurovision) gespeichert werden. Dieses Material soll dann dezentral zur Verfügung stehen und bearbeitet werden können - ähnlich wie dies bei einem PC-Netzwerk mit Text- und Zahlendaten schon heute geschieht. Vorteil: das gleiche Material kann gleichzeitig an mehreren Orten im Haus benutzt werden. Im Endausbau, einige Jahre später, sollen dann die Tagesschau-Redaktorinnen und Redaktoren an ihren Bildschirmen direkten Zugang zu diesem Bildmaterial haben und einfache Bildschnitte gleich an ihrem Arbeitsplatz vornehmen.

Nachteile: Neue Abhängigkeiten

Roger Sidler sieht allerdings nicht nur Vorteile bei dieser neuen Technologie: Die Fernsehtechnik gerät mehr und mehr in den Sog der Computerindustrie. In der Fernsehtechnik galten bisher Beschaffungszyklen von 5-15 Jahren, sei es für Kameras, Studioausrüstungen oder Bearbeitungsplätze. Anders in der Computerindustrie: Nach 2-3 Jahren ist ein Computer veraltet. Dazu kommt das ständige Aufdatieren der Software. Am meisten Angst macht Sidler jedoch die Abhängigkeit von den Herstellerfirmen:"Was machen wir, wenn ein Hersteller bankrott ist, und wir seine Geräte benutzen". Seine Beobachtungen dürften zutreffen: Schon heute gibt es eine fast unübersehbare Zahl von Anbietern - die meisten davon waren ursprünglich Computer-Firmen. Mit der Veränderung von Berufsbildern spricht Roger Sidler einen weiteren, wichtigen Punkt an. Der Beruf der Cutterin beispielsweise ist extremen Aenderungen unterworfen: Wer diesen Beruf beispielsweise vor zehn Jahren erlernt hat, wird in einem oder zwei Jahren bald die dritte totale Umstellung mitmachen müssen. "Diese Situation setzt bei vielen Leuten auch Aengste frei, die wir verstehen können und ernstnehmen müssen", sagt DRS Technikchef Sidler.

Konsument merkt wenig

Zurück zur Ausgangsfrage: Was bringen diese neuen Technologien dem Zuschauer. Hier sind sich die Spezialisten einig: Solange die Bildübertragung auf dem herkömmlichen Weg erfolgt und auch die TV-Geräte zuhause nicht erneuert werden, wird der Zuschauer nichts merken. Digitale Bildbearbeitung ist damit in erster Linie eine alternative Produktionstechnik. Zum Vergleich: Auch beim Radio merkt der Zuhörer zuhause kaum, ob eine Platte, eine CD, eine digitale Tonbandaufnahme oder eine live-Uebertragung gesendet wird. Indirekt dürfte aber die Konsument die Auswirkungen trotzdem zu spüren bekommen: Wenn es in Zukunft einmal Dutzende oder gar Hunderte von TV-Kanälen geben soll, wird es eine schnelle und billige Produktionstechnik brauchen. Ob irgend jemand soviel Fernsehen will, steht auf einem anderen Blatt geschrieben.

KASTEN

Filmbearbeitung gestern - heute - morgen

Seit der Erfindung des Filmes am Ende des letzten Jahrunderts haben sich nur drei Bearbeitungsmethoden etabliert:

Der traditionelle Filmschnitt: Das belichtete und entwickelte Rohmaterial wird in Sequenzen geschnitten und im Schnittraum an einem sogenannten Galgen aufgehängt. Die Cutterin oder der Cutter wählt die Sequenzen aus und fügt sie mit Klebband zusammen. Dieses Verfahren wird heute im Film immer noch verwendet. Vorteil: man kann jederzeit an jeder Stelle im Film eingreifen und Material hinzufügen oder Kürzungen vornehmen. Nachteil: Das Verfahren ist langsam und schwerfällig und damit auch teuer.

In der Video-Bearbeitung, wie sie heute beim Fernsehen üblich ist, wird nicht mehr geschnitten sondern kopiert. Ausgewählte Teile des Rohmaterials werden damit elektronisch von einer auf die andere Kassette übertragen. Vorteil: das Verfahren ist relativ einfach, Nachteil: der Film muss chronologisch zusammengefügt werden. Nachträgliche Aenderungen sind nur sehr beschränkt möglich. Wegen der chronologischen Arbeitsweise spricht man hier auch vom linearen Bildschnitt.

Beim Computer-Schnitt entsteht der endgültige Film am Bildschirm. Jeder Sequenz kann auch nach Abschluss des Schnitts beliebig verändert oder verschoben werden. Der Schnittprozess muss nicht mehr chronologisch ablaufen. Man spricht deshalb auch von einem non-linearen Schnittverfahren. Produzenten betonen, dass diese Arbeitsweise sehr viel kreativer ist und ein intuitives Vorgehen ermöglicht.

Alle drei Produktionsmethoden werden heute noch verwendet. Sie können auch miteinander kombiniert werden - so kann etwa ein Film im 35mm Verfahren gedreht werden, auf dem Computer wird sodann gepröbelt, bis man eine endgültige Version gefunden hat, zuletzt wird das Rohmaterial in konventioneller Technik gemäss dem Muster auf dem Bildschirm zusammengesetzt. Dabei helfen detaillierte Listen, die dem 35mm Cutter genau anzeigen, in welcher Art das Originalmaterial zusammengefügt werden soll. Man spricht hier vom sogenannten Off-line Schnitt. In diesem Verfahren werden der kreative und der handwerkliche Prozess voneinander getrennt. Ebenfalls praktiziert wird das umgekehrte Verfahren, vor allem wenn viele Effekte gebraucht werden: Bei diesem Verfahren wird der Film ebenfalls am Bildschirm bearbeitet und am Schluss mit einer 35mm Kamera abgefilmt. Dank hochauflösender, professionelle Bildschirme merkt der Zuschauer im Kino nichts mehr von diesem Schritt und sieht auch keine Bildzeilen mehr auf der Leinwand.


Dieser Artikel erschien am 16.Mai 1995 in der Schweizer Tageszeitung TAGES-ANZEIGER




- Briefe - Links
Frontpage - English Page - Minderheiten - IKRK- Rumänien - , USA, Vietnam, - Eritrea - Böhmen - Multimedia&Co.- Postkarten - Quotes - Books - Personal