Holocaust-Ueberlebende berichten
Einführung von Heinz Altorfer, Leiter Migros-Zeitfragen


Im Namen der Veranstalter, des Migros Kulturprozents und der Stiftung Fonds für Menschlichkeit und Gerechtigkeit, begrüsse ich Sie herzlich zur heutigen Veranstaltung "Holocaust-Ueberlebende berichten".

Kaum ein Tag vergeht, an dem wir in den Medien nicht konfrontiert sind mit der Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg. Längst sind die Diskussionen nicht mehr nur ein Thema der Historiker; eine nationale Debatte über Schuld und Sühne ist ausgebrochen, die beträchtliche innen- und aussenpolitische Aktivitäten ausgelöst hat. Auch die schweizerische Bankenwelt wurde mit einer öffentlichen Dynamik zu Raubgold und nachrichtenlosen Konten konfrontiert, die sie wohl selber kaum erwartet hat. Um Licht in die historische Wahrheitsfindung zu bringen, wurde die sog. Bergier-Kommission eingesetzt. Initiativen wurden ergriffen, um Vergangenes zeichenhaft wieder gutzumachen: so z.B. die Schweizerische Stiftung für Solidarität, die der Bundesrat angeregt hat, aber auch private Initiativen.

Die Debatten über eines der dunkelsten Geschichtskapitel werden seltsam abstrakt geführt. Die Rede ist von Ereignissen, die vor mehr als 50 Jahren passiert sind. Das mag angehen, solange Geschichte nur als Anschauungs-Gegenstand dient. - Der Holocaust ist jedoch zum Thema einer moralischen Diskussion geworden; Gerechtigkeit und Solidarität wird gefordert. Das Vergangene wird so unversehens zu einem Teil unserer heutigen Realität. Wir haben die schwierige Aufgabe vor uns, die Geschichte der Schweiz in der Zeit des Holocausts zu bewerten und zu entscheiden, welche Folgen wir daraus ziehen: im Hinblick auf die wenigen noch überlebenden Opfer jener Zeit, im Hinblick aber auch auf unsere heutige nationale Rolle im global village, das geprägt ist von neuer Ungerechtigkeit und menschenverachtender Interessenpolitik.

Lassen Sie mich Bundesrat Kaspar Villiger zitieren, der am 7. Mai 1995 anlässlich der Gedenkfeier der Vereinigten Bundesversammlung zum 50. Jahrestag des Kriegsendes in Europa seine stark beachtete Rede folgendermassen begonnen hat:

 

"Unser Land blieb vom Zweiten Weltkrieg verschont. Das ist Grund zur Dankbarkeit. Andere Völker haben Europa befreit, haben die europäische Kultur gerettet, auch uns eine Zukunft in Freiheit ermöglicht. Das ist Grund zur Bescheidenheit. Unser Land hat in höchst bedrohter Lage zur Erhaltung seiner Unabhängigkeit, seiner Werte und seiner Unversehrtheit das Menschenmögliche geleistet. Das ist Grund zum Respekt vor der Leistung jener Generation. Auch unser Volk musste Opfer bringen, aber ungleich weniger als jene Völker, welche in den Krieg verwickelt wurden. Das ist Grund zur Zurückhaltung. Und auch die Schweiz hat nicht durchwegs so gehandelt, wie es ihren Idealen entsprochen hätte. Das ist Grund zur Nachdenklichkeit. "

 

Die Gespräche heute abend mit 3 Ueberlebenden des Holocausts sollen zu dieser Nachdenklichkeit beitragen - um besser verstehen zu können, wofür heute Gerechtigkeit und Solidarität gefordert wird - und sie sollen zugleich unsere ethische Wahrnehmungsfähigkeit als Bürgerinnen und Bürger für die Gegenwart und die Zukunft schärfen.

Zum Ablauf des heutigen Abends:

Vorerst wird der Historiker Urs Kaufmann einen kurzen geschichtlichen Ueberblick über die Entwicklungen in Rumänien geben, der das Verständnis des nachfolgenden Gesprächs erleichtern soll.

Dann folgt das Gespräch mit 3 jüdischen Ueberlebenden des Holocausts, die aus dem Osten Europas stammen: Herr Ladislaus Grün und Herr Carol Margulies aus dem rumänischen Tirgu Mures und Herr Gabor Hirsch aus Ungarn, der seit 1956 bei Zürich lebt und hier eine Kontaktstelle für Opfer des Holocausts gegründet hat. - Die beiden rumänischen Gäste sind nun seit bald 1 Woche hier in der Schweiz an Veranstaltungen - u.a. mit Jugendlichen - unterwegs, um zusammen mit Herrn Hirsch mit ihren Berichten sich dafür einzusetzen, dass solch schreckliche Ereignisse sich nie mehr wiederholen. Wir freuen uns sehr, dass sie hierher gekommen sind, um diese für sie gewiss nicht ganz einfache Aufgabe zu lösen.

Gesprächsleiter ist Dominik Landwehr, Journalist und Autor des Brückenbauer-Artikels, der zu diesen Veranstaltungen geführt hat. Herr Landwehr hat während einer Rumänienreise unsere Gäste hierher in die Schweiz eingeladen und die Veranstalter sind ihm für seine engagierte Initiative zu Dank verpflichtet.

Im Verlaufe des Gesprächs werden Sie dann Gelegenheit haben, selber Ihre Fragen einzubringen.

Ich wünsche Ihnen einen bewegenden Abend.


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